justicia

Der Fluch der bösen Tat

„Le pire a de l’avenir“ – „Das Schlimmste hat Zukunft“

lautet der Titel der Autobiographie von Georges Wolinski aus dem Jahr 2012. Es ist das Fazit eines Lebens, in dem der aus einer jüdischen Familie aus Tunis stammende Zeichner tausende Karikaturen und eine Vielzahl von Texten, Theaterstücken und Buchpublikationen hervorgebracht hat, von denen ich viele sammeln konnte. Bei meinem ersten längeren Aufenthalt in Paris im Jahr 1969 freute ich mich wie meine französischen Freunde schon auf jede neue Ausgabe von Hara-Kiri mit den humoristischen Zeichnungen von Wolinski und den satirischen Fotoromanen, comic strips und Artikeln seiner Kollegen.

Es war die mutige und freche, satirisch zugespitzte politische Kritik, mit der wir uns identifizieren konnten. Sich immer wieder dem Schlimmsten entgegenzustellen und es mit den Mitteln des Humors zu entwaffnen trieb Wolinski auch mit 80 Jahren noch bis Anfang dieses Jahres wöchentlich in die Redaktion von Charlie-Hebdo, die er früher selbst jahrelang geleitet hatte. Wie eine Vorahnung auf das, was ihm am 7. Januar gemeinsam mit seiner Kollegin und Kollegen in der Redaktion von Charlie-Hebdo geschah, hatte er in den Memoirenband eine Karikatur aufgenommen, die die Redaktion in einem Bus zeigt, der über eine Klippe in den Abgrund stürzt. Die Zeichnung trug die Unterschrift: „Ein Wunder, wenn wir da noch heil herauskommen“.

Nicht erst seit dem vergangenen Freitag wissen wir, dass nicht nur die Redakteure von Charlie-Hebdo ein Ticket für diesen Bus in der Tasche hatten. Unsägliches Leid hat die Mörderbande von Paris verbreitet mit der massenhaften Ermordung und körperlichen und seelischen Verwundung von Menschen. Die Folgen der Anschläge gehen allerdings weit über das persönliche Leid der Betroffenen und ihrer Angehörigen und die Angst und den Schrecken, die sie verbreiten, hinaus. Sie provozieren die bösesten Triebe der Menschen nach Rache und Gewalt und die dunkelsten und reaktionärsten Kräfte der Gesellschaft, „Le Pire“, wie Wolinski gesagt hat.

Geboten ist die strafrechtliche Aufklärung der Taten und die Ermittlung der Täter, Helfer und Anstifter, deren Verfolgung, Verhaftung und Verurteilung in gerichtlichen Verfahren. Sie sind gewöhnliche Kriminelle und haben Haftstrafen zu absolvieren, wenn sie in gerichtlichen Verfahren überführt und verurteilt werden. So ist auch nach den Massenmorden in der Londoner Tube und im Atocha-Bahnhof von Madrid erfolgreich vorgegangen worden.

Was wir jedoch erleben, ist eine Debatte über den Eintritt in den Krieg in Syrien und die Schließung der Grenzen für Flüchtlinge. Die von niemandem gewählten Inhaber wirtschaftlicher und politischer Macht rufen dazu auf, das gewählte politische Führungspersonal, das sich hierfür als zu schwach und zu wenig durchsetzungsfähig zeigt, auszutauschen. Die FAZ führt eine offene Kampagne für die Ablösung von Angela Merkel als Kanzlerin. Die Deutschen hätten nichts gegen ein freundliches Gesicht an der Spitze, doch jetzt sei ein hartes Gesicht gefragt, heißt es.

In Frankreich ist von „Weltkrieg“ gegen den IS die Rede. Aber hatte nicht auch Hollandes Vorgänger Sarkozy schon versucht, sich durch Krieg – im letzteren Fall gegen Libyen – eine weitere Wahlperiode zu sichern und mit welchem Ergebnis? In Libyen herrschen nach der Intervention durch die NATO Chaos und Anarchie und zwischen den sich wechselseitig bekämpfenden Stämmen und Banden hat sich der IS breit gemacht. Und ist nicht der IS gerade das Ergebnis der militärischen Interventionen in Afghanistan, dem Irak und der Befeuerung des syrischen Bürgerkriegs? Mit der Unterstützung radikalislamischer Kräfte gegen die Linksregierung in Kabul wie jetzt gegen die Despotie des Assad-Clans, mit der Hochrüstung Saudi Arabiens, dessen im Januar neu inthronisierter König Salman in diesem Jahr schon über 150 Menschen hat köpfen lassen, und der Emire am Golf folgte der Westen der dummen Losung: „Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde“. Mit dem Krieg gegen den Irak und der Auflösung der irakischen Armee wurden die sunnitischen Eliten des Landes entmachtet. Ihre erfahrenen Offiziere und Truppen, die unter der schiitischen Führung des Landes für sich keine Perspektive mehr sehen, bilden nun die Hauptkräfte des Islamischen Staats.

Bei einer erneuten massiven militärischen Intervention, für die Hollande während diese Zeilen entstehen einen Beschluss im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anstrebt, würde nur das passieren, was wir schon gesehen haben, wie jetzt Obama richtiger Weise sagt. Wenn es eine Lehre aus den Kriegen gegen Afghanistan und den Irak gibt, dann diese: Jeder militärische Erfolg ist nur ein Pyrrhus-Sieg („Sind wir noch einmal erfolgreich gegen die Römer, sind wir verloren!“).

Allein die Herbeiführung eines Interessenausgleichs zwischen den verschiedenen Volksgruppen und religiösen Kräften in Afghanistan, dem Irak und Syrien bietet die Perspektive einer friedlichen Entwicklung in diesen Ländern, beendet die Flüchtlingsströme und bietet den aus dem Land geflohenen die Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren und für sich und ihre Kinder eine Existenz aufzubauen.

Wer die Gewalt in Syrien und dem Irak eskaliert, provoziert Gewalt in unseren Städten. Die Selbstmordattentate des IS sind das Ergebnis der vorangegangenen militärischen Interventionen des Westens. Sie sind, wie Peter Scholl Latour sein letztes Buch betitelt hat, der „Fluch der bösen Tat“.


Otto Jäckel
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Vorsitzender von IALANA Deutschland
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Berlin/ Wiesbaden, den 17.11.2015

17.11.2015.


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