justicia

Völkerrechtswidrigkeit des Einsatzes und der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen

Vortrag von Rechtsanwalt Otto Jäckel am 6.4.2017 in der Humboldt Universität zu Berlin

„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit in der Türkei,
Die Völker aufeinanderschlagen,
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus
Und segnet Fried und Friedenszeiten“


Goethe, Faust Teil I, Verse 860-871




Meine Damen und Herren,

diese zynischen Worte eines Spießers, die so ähnlich auch heute noch gesprochen worden sein könnten, lässt Goethe Faust auf seinem Osterspaziergang daher plappern.

Wir sind hier, nicht um genüsslich die Weltläufte zu kommentieren, sondern um uns einzumischen. Gestern vor 60 Jahren, am 05. April 1957 gab Bundeskanzler Adenauer eine Pressekonferenz, in der er die Atombewaffnung der Bundeswehr ankündigte:

„Die taktischen Atomwaffen sind im Grunde genommen nichts anderes“, meinte er, als eine Weiterentwicklung der Artillerie, und es ist ganz selbstverständlich, dass bei einer so starken Fortentwicklung der Waffentechnik wir nicht darauf verzichten können, dass unsere Truppen auch die neuesten Typen haben und die neueste Entwicklung mitmachen…“

Zitiert nach Dürr, Hans-Peter, Warum es ums Ganze geht, 2. Aufl. München, 2009, S. 38

Eine Woche später reagierten die Göttinger 18, Deutsche Kernphysiker um Carl-Friedrich von Weizsäcker, darunter vier Nobelpreisträger mit ihrem Appel gegen die Atombewaffnung und der Erklärung, dass sie sich nicht an der Entwicklung deutscher Atombomben beteiligen würden. Trotz der Bewegung „Kampf dem Atomtod“, die Hunderttausende in Protestaktionen auf die Straße brachte, beschloss der Deutsche Bundestag am 25. März 1958 die Ausrüstung der Bundeswehr mit Trägersystemen für Atomwaffen. Die Atomwaffen selbst sollten in US-amerikanischer Obhut bleiben, war der Kompromiss, der bis heute auch nach Unterzeichnung des Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrags so praktiziert wird. Dabei ist es frappierend, dass heute die Neuentwicklung der B 61-12 Atombomben in den USA - mit variabel einstellbarer Sprengwirkung versehen und als elektronisch lasergesteuerte Lenkwaffe einsetzbar - von Vertretern des Kanzleramts und des Auswärtigen Amts mit den gleichen Argumenten vertreten wird, die vor 60 Jahren Adenauer ins Feld führte: Wir wollen die modernsten Waffen und die neueste Entwicklung mitmachen.

Die Frage, die sich dabei stellt, ist inwieweit deutsche Außen- und Sicherheitspolitik begrenzt wird durch rechtliche Rahmenbedingungen und Restriktionen oder ob die handelnden Politiker dabei im Sinne einer nur an den Tatsachen orientierten Realpolitik in ihrem Handeln frei sind. Wir erinnern uns an die Erklärung von Gerhard Schröder im Deutschen Bundestag bei der Entscheidung über den Eintritt in den Afghanistankrieg: „Wir sind hier doch nicht vor dem Amtsgericht“ und in ähnlicher Weise an die Bemerkung von Frank Walter Steinmeier in der Debatte über den Einsatz Deutscher Aufklärungsjäger in Syrien: „Wir sind hier doch nicht im juristischen Seminar“. Gerne wird auch mit dem Etikett eines Realpolitikers und dem Verweis auf das vermeintliche Vorbild Henry Kissinger kokettiert, in dessen Büchern über Außenpolitik man den Begriff Charta der Vereinten Nationen zumeist vergeblich sucht. Zudem wird dem Begriff der Realpolitik stets der Begriff der Idealpolitik gegenübergestellt. An den Tatsachen orientierte Realpolitik gegen an Idealen, Werten und Normen orientierte Idealpolitik – Realismus gegen Idealismus. Wer möchte schon gerne als Idealist und Träumer dastehen und nicht lieber als an Fakten orientierter Macher?

Das Grundgesetz spricht hierzu allerdings eine andere Sprache und bestimmt in Artikel 20 Abs. 3 „Die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden“. Das bedeutet: Ebenso wie die Gerichte ist auch die Regierung an Recht und Gesetz gebunden. Zu dem zu beachtenden Recht gehört auch das Völkerrecht, denn nach Art 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts und gehen den Gesetzen vor.

Was die Vereinbarkeit der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen und des Einsatzes von Atomwaffen anbelangt, hat der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen in seinem Gutachten vom 8. Juli 1996 eine klare Antwort gegeben. Beides verstößt prinzipiell gegen humanitäres Völkerrecht. Der Gerichtshof hat zunächst festgestellt, es gebe kein formelles Verbot von Atomwaffen in einem Verbotsvertrag, dann jedoch in einer ausführlichen Untersuchung dargelegt, dass schon die Androhung des Einsatzes und erst recht der Einsatz von Atomwaffen gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt. Er verstößt gegen das Verbot, durch Waffen unnötige Leiden hervorzurufen, gegen das Verbot Waffen einzusetzen, die nicht unterscheiden zwischen Kombattanten und Zivilisten, die Auswirkungen auf am bewaffneten Konflikt nicht beteiligte Drittstaaten haben und die die Umwelt und die Lebensgrundlagen für kommende Generationen zerstören.

Ich zitiere beispielhaft Art 57 Abs. 2 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Rotkreuzabkommen: „Wer einen Angriff plant oder beschließt, hat von jedem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.“

Atomwaffen, die zwischen bewaffneten Soldaten und unbeteiligten Zivilisten unterscheiden können, sind uns nicht bekannt.

Weiterhin verstößt der Einsatz von Atomwaffen durch deutsche Soldaten gegen Art. 2 des Nichtverbreitungsvertrags, wonach die Nichtatomwaffenstaaten keine Atomwaffen herstellen, annehmen oder sonstwie beschaffen dürfen. Diese Hürde soll allerdings durch eine Interpretationserklärung des amerikanischen Außenministers Dean Rusk aus dem Jahr 1967 überwunden werden, wonach der Atomwaffensperrvertrag seine Gültigkeit verliere, wenn die Entscheidung getroffen worden sei, Krieg zu führen. Diese Erklärung war zwar Gegenstand der Verhandlungen im Deutschen Bundestag vor der Entscheidung über den Beitritt zu dem NPT, sie ist allerdings weitgehend unbekannt und rechtlich unwirksam.

Sie widerspricht diametral dem Inhalt des Vertrages und ist auch formell unwirksam, weil sie nicht den über 190 Signatarstaaten bekannt gemacht wurde, wie das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge dies vorsieht.

Schließlich verstößt das Verhalten der Bundesregierung durch ihren Boykott der Verhandlungen, die in der vergangenen Woche in New York im Rahmen der Vereinten Nationen über einen Atomwaffenverbotsvertrag geführt werden, gegen die Verpflichtung aus Art VI NPT.

Die FAZ von heute zitiert zwar ein Tweet von Trump kurz vor seinem Amtsantritt: „Die UN sind bloß ein Club, wo Leute zusammenkommen, reden und sich amüsieren, so traurig“.



Dementgegen gestalten sich die Verhandlungen schon nach der ersten Woche zu einer Erfolgsgeschichte und es ist nicht auszuschließen, dass es bereits im Juli zu einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen kommen wird.

Berlin 6.4.2017

Otto Jäckel
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
und Verwaltungsrecht
Vorsitzender IALANA Deutschland e.V.

06.04.2017.


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